Kein Marketing-Vortrag ohne den Begriff „Customer Journey“: Wie verstehen Sie diesen und warum ist er so wichtig?
Der Anglizismus ist berechtigt, da mit diesem Fachbegriff ein komplettes konzeptionelles Paket gemeint ist. Er beschreibt die Reise des Kunden über die Verkaufsfläche anhand vieler Erlebnisfaktoren. Am Haupteingang beginnend bis zum Verkaufsabschluss wird die Ware dabei so angeordnet, dass die Abfolge für den Kunden Sinn macht und ihn positiv anspricht. Standort und Einrichtung der Kabinen fügen sich schlüssig in diese Reise ein. Außerdem berücksichtigt das Konzept die Aktivitäten von Mitarbeitern und Kunden im Verkaufsprozess. Im Eingangsbereich sollten daher keine Inkontinenzprodukte präsentiert werden, sondern eher positiv besetzte Fitnessprodukte oder ,schicke‘ Mobilitätsthemen. Darüber hinaus macht es Sinn, aus einigen Warensortimenten Produktgruppen herauszugreifen und eine Geschichte zu erzählen. Wie das aussehen kann, zeigte der Ladenbaupavillon auf der OTWorld mit dem Thema Gehstöcke. Die Kunden wurden nicht ausschließlich mit Gehstöcken angesprochen, sondern mit weiteren Utensilien wie einer Sitzbank mit speziellen Kissen, einem Buch mit Lesebrille, Komfortschuhen und Pflanzen. Der Gehstock war unscheinbar angelehnt. Die Präsentation soll den Kunden auffordern, ein Produkt in die Hand zu nehmen. Das kann entweder das Personal machen oder über einen Monitor passieren. Dabei lernt der Kunde ein Bedarfsprodukt nach dem anderen kennen. Ganz wichtig ist das Beratungsgeschick der Verkäuferin. Sie leitet den Kunden zu artverwandten Produkten und begleitet ihn auf der ,journey‘ durch das Sanitätshaus. Somit entwickelt der Kunde eine Vorstellung vom jeweiligen Betrieb. Seine Reise führt im Idealfall in eine Kabine, wo er Kompressionsstrümpfe oder Bandagen kennenlernt. Eine professionelle Warenabfolge vermittelt Kunden einen kompetenten Eindruck und schafft Vertrauen, so dass sie wiederkommen.
Vor einigen Monaten haben Sie mit Unternehmern unter dem Motto „Die Customer Journey im Sanitätsfachhandel“ den Einrichtungsspezialisten Visplay in Weil am Rhein besucht. Warum?
Was die Ladenoptik angeht, sind der Mode-, Dessous- und Sporthandel Vor- und Leitbild für den Sanitätsfachhandel. Aktuell wird der Kunde auf den Handelsflächen zum „Flanieren“ eingeladen. Neue Verkaufsmedien bieten ihm heute interessante und umsatzfördernde Verkaufserlebnisse. Und genau diese werden im Village der Visplay präsentiert. Es ist die großartige Chance gewesen, anhand eines fiktiven Lebensmittelhandelsgeschäftes, eines Beautylabels, eines Bekleidungsshops und einer zukünftigen Verkaufsfläche für Automobile die Shop-Realität zu erleben. Außerdem wurde der Blick über den Tellerrand hinaus gerichtet auf die Architektur. Sie prägt den Vitra Campus fast schon als Eigenmarke. Eine Führung durch die Bürowelt rundete den Besuch ab. Schließlich muss sich ein Gesundheitsunternehmen nicht nur mit der Ladenfläche beschäftigen, sondern auch mit Logistik, Werkstatt und Mitarbeiterbüros. Alle Geschäftsbereiche benötigen eine architektonische Hülle. Ein Gesundheitsbetrieb muss selbst zur Marke werden. Dafür haben die Teilnehmer zahlreiche Impulse erhalten.
Bildschirm an die Wand, digitale Etiketten neben die Produkte – und schon ist der Kunde begeistert. Was ist beim Einsatz digitaler Medien zu beachten?
Nicht jedes Produkt eignet sich für die digitale Darstellung. Auch muss auf die Anzahl der Bildschirme geachtet werden. Ein Zuviel überfordert Mitarbeiter und Kunden. Somit ist ein bewusster, sinnvoller Einsatz wichtig. Digitalisierung soll verkaufsfördernd sein, den Erlebnischarakter unterstreichen und den Verkauf unterstützen – nicht verwirren. Die Mitarbeiter müssen eingebunden werden, um bei Inbetriebnahme einer digitalen Innovation die gewünschten Effekte zu erzielen. Hinzu kommt: Ein Gesundheitsbetrieb alleine kann die Digitalisierung nicht bewältigen. Vielmehr ist die Industrie aufgefordert, dieses Vorhaben zu unterstützen. Auch der Kopf des Unternehmens, der Geschäftsführer, muss die Digitalisierung wollen. Erst dann kann sie funktionieren.
Welche Chancen bietet die Digitalisierung in der Kabine?
Die Digitalisierung in der Kabine funktioniert in verschiedenen Bereichen. Digitale Chips am Produkt etwa können das Licht steuern. Eine Kundin, die Dessous anprobiert, soll schließlich eine andere Beleuchtungsintensität und -farbe wahrnehmen als eine Kundin, die sich über Sportkompression informiert. Licht lenkt und leitet also Umsätze. Des Weiteren kann ein Messsystem für die Kompressions- und Bandagenversorgung Ausdruck der Digitalisierung bedeuten. Außerdem können Anwenderfilme oder QR-Codes am Produkt die Kundenberatung unterstützen. Auch das ist Digitalisierung.
Bleibt beim Einsatz von Technik nicht die emotionale Ansprache der Kunden auf der Strecke?
Nein, ich meine nicht. Zum Glück sieht man die ganze Kabeltechnik nicht, sondern lediglich die Fläche des Bildschirms. Emotionale Bildinhalte auf dem Monitor lassen sich in das Shopambiente punktgenau dort platzieren, wo ihr Einsatz wünschenswert ist – so viel oder reduziert der Bauherr es wünscht.
Wie verändert die Digitalisierung Ihre Arbeit als Innenarchitektin?
Auf den Punkt gebracht ist es ein Mehr an Arbeit, da mehrere Planungsebenen koordiniert werden müssen. Dies ist nicht zu unterschätzen und sollte von den Bauherren in der zeitlichen Ausarbeitung respektiert werden. Es geht immer um individuelle Lösungen der Customer Journey. Innovative Lösungen stellen höhere Anforderungen als,08/15 Planungen‘. Wir Innenarchitekten müssen uns bereits während der Planung mit der Umsetzung beschäftigen. Dazu gehören fundierte IT-Kenntnisse, damit wir zielgerichtet und ergebnisorientiert planen und keine Luftschlösser gestalten. Das Know-how steigt mit dem Mehr an Anforderungen. Ich persönlich begrüße diese Entwicklung sehr, um immer wieder durch neue Impulse angespornt zu werden.
Veröffentlichungsdatum: 15.04.2019Bilder: ParkraumText:Herr Tobias Kurtz, Chefredaktion GesundheitsProfi